Vom U-Boot in die BSB-Werft: Erwin Leder ist Aushängeschild des Projekts „Ahab“ in Friedrichshafen
Im U-Boot stinkt es, das kann man sich gut vorstellen – während des Zweiten Weltkriegs nicht zuletzt vom Angstschweiß der Besatzung. Sorglos auftauchen und die Nase in den Wind zu halten, das war ein seltener Genuss. Eine solche Szene zeigt der moderne Filmklassiker „Das Boot“ von Wolfgang Petersen. „ Na, Johann? Tut gut, die frische Luft, was?“, sagt darin der Leutnant (Herbert Grönemeyer) zu einem merkwürdigen Vogel, dessen Kopf sich soeben aus den Tiefen des U-Boots in die Höhe geschraubt hat. Aber Johann sagt nichts. Er schaut übers Meer wie Napoleon aufs Schlachtfeld, zieht den Rotz durch die Nase und macht ein verwegenes Gesicht, von dem sich der Wahnsinn ablesen lässt. Dann spuckt er verächtlich aus und schüttelt den Kopf. „Na“, sagt er im Wiener Dialekt und taucht wieder in die Eingeweide des Stahlkolosses. Die Welt da draußen ist nicht mehr die seine.
Manches von dem, was diesen Johann ausmacht, wird man schon am Samstag nächster Woche in Friedrichshafen erleben können: denn dann tritt der Schauspieler Erwin Leder, der ihn damals spielte, gemeinsam mit dem Stadtorchester auf. Unter der Leitung von David Gilson lassen sie gemeinsam das im Jahr 2007 schon einmal aufgeführte Projekt „Ahab“ neu aufleben. Damals konnte Deutschlands bekannteste Fernsehstimme für „Ahab“ gewonnen werden: Christian Brückner.
Wer die damalige Aufführung im GZH erlebt hat, dem ging er lange nicht aus dem Kopf, dieser Hörfilm, der zentrale Motive des Romans „Moby Dick“ von Herman Melville mit durchgehender Musik für sinfonisches Blasorchester von Stephen Melillo, Alfred Reed, Francis McBeth und Dvorak verbindet. Über die damalige Aufführung schrieb der SÜDKURIER: „Ein Titan steht an Deck. Er reckt die Faust und läuft Sturm gegen alles, was Gott, die Welt und der weiße Wal ihm angetan haben. Das Meer, der Rachedurst, der Wahnsinn umtosen ihn mit der Wucht eines fiebernden Orchesters, und im Furor der eigenen Besessenheit geht Ahab mit Gebrüll dem Untergang entgegen.“
Ahab, das wird nun also nicht mehr Christian Brückner sein, sondern Erwin Leder; genauso aber Ishmael, der Seefahrer, der die ganze Geschichte erzählt.
David Gilson ist sicher, dass es mühelos gelingen wird, die damalige Aufführung noch zu toppen. „Christian Brückner hat Großartiges geleistet, aber er hat die Rollen eben nur gesprochen. Und damit ist der Job noch nicht getan.“ Den ganzen Job soll nun also Erwin Leder erledigen – indem er alles in die Waagschale wirft, was er nicht nur als Sprecher, sondern auch als Schauspieler zu bieten hat. Er ist prädestiniert dafür. Wer ihn als verrückten Johann in „Das Boot“ erlebt hat, seinen Koller im Maschinenraum, der dem Tanz eines Besessenen gleicht, der zweifelt nicht daran: Erwin Leder ist für „Ahab“ die ideale Besetzung.
Ein Besessener ist Erwin Leder nicht erst auf der Bühne, sondern auch in der Ernsthaftigkeit seiner Vorbereitungen. „Es dauerte eine Weile, bis wir an ihn herangekommen sind“, erklärt Alexander Graf vom Vorstand des Stadtorchesters. „Aber seine erste Email an uns war dann gleich drei A4-Seiten lang, mit detaillierten Ideen und Vorschlägen.“ Erwin Leder hat den kompletten Sprechtext nochmals überarbeitet, hat ihn auf sich zugeschnitten. David Gilson hat mittlerweile schon lange Arbeitssitzungen mit Erwin Leder hinter sich, die eines zum Ziel haben: eine noch viel engere Verzahnung zwischen Orchester und Schauspieler als 2007.
Erwin Leder und Alexander Graf haben sich auch eine ganz besonders wirkungsvolle Präsentation für die Schauspielpassagen ausgedacht: Leder wird hinter dem Orchester agieren, auf einem erhöhten Podest, und sein Charisma als Kapitän Ahab auf Orchester und Publikum regelrecht herabsenken.
Noch eine Besonderheit gibt es: „Ahab“ wird nicht im Graf-Zeppelin-Haus aufgeführt, sondern in der Werft der Bodensee Schiffsbetriebe am hinteren Hafen. Die Akustik eines Konzertsaals herrscht in dieser Industriehalle natürlich nicht, und in der nächsten Woche werden noch beträchtliche technische Anstrengungen nötig sein, um die Halle zur Aufführungsreife zu rüsten – unter anderem muss ein Boden eingezogen werden, weil die Halle natürlich abgeschrägt ist, um Schiffen den Stapellauf zu ermöglichen. Im Gegenzug sei dafür aber die Atmosphäre in der Halle geradezu ideal für dieses Projekt, sagt Alexander Graf. Damit hat er wohl Recht. Nicht nur, weil ein Stoff, der die Gefahren der Waljagd thematisiert, in einer Schiffshalle gut aufgehoben ist, sondern auch, weil man Erwin Leders Spiel des abgründigen Kapitän Ahab natürlich auch vor dem Hintergrund seiner Rolle in „Das Boot“ betrachten wird, inklusive der klaustrophoben metallischen Kulissen des Films.
Jene eingangs beschriebene Szene jedenfalls, in der Erwin Leder in Wolfgang Petersens Kultfilm wie der Herr der Welt übers Meer schaut, sie hätte auch damals schon Kapitän Ahab auf den Leib geschrieben sein können. Doch erst mal sehen, ob diese Erwartung zutrifft. Schätzt man Erwin Leder richtig ein, dann hält er wohl nicht viel davon, Erwartungshaltungen zu erfüllen.
(Harald Ruppert/Südkurier v. 07.06.13)