Eine
Ausstellung und ein fundiertes Buch zum Fährejubiläum - Lokale
Verkehrsgeschichte
Die
Namensvorschläge, die vor dem Start der ersten europäischen Binnenseefähre
1928 bei der Stadtverwaltung eingingen, waren nicht durchweg schmeichelhaft.
Vielmehr illustrieren sie anschaulich, mit wie viel skeptischer Ironie die
Einheimischen an den Ufern des Sees dem damals ungeheuer modernen Unternehmen
begegneten: Wotan, Merkur, Titania, Thusnelda, Holüber oder gar Autoliebchen
sollte die später auf den unverfänglichen Namen "Konstanz"
getaufte erste Fähre heißen.
Im
Volksmund bekam sie wie schon der kurz zuvor installierte Bus - der "Rote
Arnold" - ebenfalls einen Spitznamen: "Susergondel" nannte man
die kleine Fähre, brachte sie doch die schon damals festfreudigen Konstanzer
zum herbstlichen Suser nach Meersburg und umgekehrt.
Jenseits
aller lokalen Idylle aber war die Fähreverbindung ein exemplarischer
Meilenstein der deutschen Verkehrsgeschichte. Der damalige Technische Bürgermeister
Fritz Arnold, ein technokratisch orientierter Sozialdemokrat, wollte mit Straßenbau,
Bus- und Schiffsbetrieben, lokaler Energieversorgung, Industrieansiedlung und
mit der Vision eines Industriehafens samt Flugplatz im Wollmatinger Ried der
seit dem Ersten Weltkrieg ins Abseits geratenen Stadt den Anschluss an die
Moderne und an den Rest des Deutschen Reichs verschaffen. Die Fährverbindung
nach Meersburg war Teil dieses Plans. Sie kam den Interessen einer noch kleinen,
aber einflussreichen sozialen Schicht der damaligen Autofahrer ("Autler"
nannte man sie damals) entgegen. Unterstützt von den lokalen Wirtschaftseliten
- einem Bierbrauer, einem Spediteur, dem katholischen Zeitungsverleger und einem
Brennstoffhändler - setzte der kommunale Unternehmer Arnold die Idee durch.
Angeregt
worden war sie vier Jahre zuvor allerdings von Schweizern: Der Thurgauer
Automobilclub hatte als erster empfohlen, eine schwimmende Brücke über den See
zu schlagen.
Das
Unternehmen war gewagt in jeder Hinsicht, denn damals verfügten nur wenige
hundert Privatleute und Unternehmen am Bodensee über Automobile oder
Lastkraftwagen. Doch die Zahlen nahmen stetig zu und der Erfolg gab den Visionären
recht: Schon die Beförderungszahlen des ersten Jahres übertrafen mit etwa
300000 Beförderungen die erwarteten 50000 Fahrgäste. Heute pendeln rund zwei
Millionen Fahrzeuge und sechs Millionen Menschen jährlich über den Überlinger
See.
Diese Anfänge
der motorisierten Verkehrsgeschichte am Bodensee schildert lebensnah, liebevoll
arrangiert und mit überraschenden Originalstücken aus vielen Jahrzehnten Fähregeschichte
angereichert, die von Waltraud Gut, Historikerin am Stadtarchiv Konstanz,
gestaltete Ausstellung im Ländebau am Fährehafen. Auf Plakaten, eindringlich
guten Fotografien und am Beispiel technischer Ausstattungstücke aus der
Bodensee-Schifffahrt wird auch jüngeren Menschen fassbar, welche Dimensionen
die Verkehrsentwicklung der vergangenen 75 Jahre bekommen hat.
Wer es noch
etwas ausführlicher und farbiger im Detail mag, sollte das kleine, ebenfalls
von Waltraud Gut geschriebene Begleitbuch lesen. Das schön illustrierte Werk
spannt auf 121 Seiten einen weiten und doch spannungsreichen Erzählbogen von
den Anfängen des Fährebetriebs bis zu den Plänen einer Autobrücke in den
70er-Jahren und den heutigen ÖPNV-Modellen der Stadt Konstanz.
Die
Ausstellung ist bis September an jedem Tag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Auf der
Sonnenterrasse des runden Ländebaus kommt zudem Ferienstimmung auf: Nach dem
Museumsbesuch setzt man sich hier ins wiedererstandene "Fährecafé"
und vertieft mit Hilfe des kleinen Buchs seine Kenntnisse darüber, wie
bescheiden der Autowahn unserer Tage einst begonnen hat.
(Südkurier v. 05.08.03)