Geheimnisvoll und rätselhaft

«Rheinlust die Erste» und «Rheinlust die Zweite»: Zwei Schiffe, die ab dem Hafen Rorschach lange Zeit auf dem Bodensee verkehrten. Zwei Schiffe aber auch, die geheimnisvolle Geschichten haben.

Unter dem Titel «Rheinlust – eine Spurensuche» wurde vor Jahresfrist über unternehmerischen Mut und über Notzeiten berichtet. Akten des Schweizerischen Bundesarchivs bieten nun Einblick in bis anhin kaum bekannte oder gar rätselhafte Schiffsgeschichten.

Suche nach Occasionen

Das stattliche, im Jahr 1930 erbaute Schiff «Rheinlust» des Rorschacher Unternehmers und Bootsbauers G. Füllemann bot Platz für 160 bis 180 Passagiere. Krisenjahre und Kriegszeit hinterließen aber ihre Spuren und die im Rorschacher Hafen vor sich hin dümpelnde «Rheinlust» musste verkauft werden. So verschwand sie im Jahr 1944 aus den Schiffsverzeichnissen.

MS Rheinlust (I) in den 30er Jahren in Rorschach
(Archiv. A. Heer, Flawil)

Erst um 1950, die Zeit eines wirtschaftlichen Aufschwungs kündigte sich an, wagte sich Füllemann an einen vorsichtigen Aus- oder Umbau seiner Flotte. Er versuchte, den Betrieb zwischen Rorschach und Rheineck mit zwei etwa 60plätzigen Motorbooten wieder neu in Schwung zu bringen. Knappe finanzielle Mittel zwangen damals zur Suche nach Occasionsbooten.

Ein zweites Leben

MS Rheinlust (II) um 1960 im Alten Rhein
(Archiv. A. Heer, Flawil)

Füllemann war offenbar erfolgreich. In den Registern der 1950er- Jahre erscheinen die nahezu gleich großen Schiffseinheiten «Rheinlust» und «Seeschwalbe» – doch stets ohne die sonst üblichen Hinweise auf Erbauer oder Baujahre. Welche Geschichten stecken wohl hinter diesen Motorbooten? Verschiedene Literaturquellen über die Bodenseeschifffahrt der Nachkriegszeit berichten über deutsche Boote, unter anderen auch die «Silberhecht», die beschlagnahmt wurden und als Reparationsleistungen mit unbekanntem Ziel verschwanden oder als Kriegsverlust galten. Knappe Hinweise aus überlieferten Aktenbeständen zeigen aber, dass das 1910 erbaute Ausflugsboot «Silberhecht» im Jahr 1950 durch die Bodanwerft Kressbronn in die «Rheinlust die Zweite» umgebaut wurde. Bis etwa 1980 blieb dann die «Rheinlust» auf dem Bodensee ab ihrem neuen Heimathafen Rorschach im Dienst, zuletzt als Einheit der Städtischen Motorbootsbetriebe Rorschach. Das verschollen geglaubte Boot hatte ein zweites Leben.

Bemerkenswerte Unikate

Die Suche nach einer zweiten passenden Bootseinheit führte G. Füllemann bis nach Ostfriesland. Er wurde in Wilhelmshaven am Jadebusen fündig, denn die vermutlich 1943 erbaute «Seeschwalbe», ein seetaugliches Motorboot mit einer Mahagonischiffsschale, entsprach genau seinen Vorstellungen. Die «Seeschwalbe» behielt ihren ursprünglichen Namen auch auf dem Bodensee und war von 1952 bis 1977 ab Rorschach unterwegs. Die beiden Motorboote erschienen damals dem flüchtigen Beobachter verwechselbar ähnlich. Die überraschend eigenständigen Geschichten und unterschiedlichen Bauweisen der Boote dokumentieren jedoch bemerkenswerte Unikate.

(Anton Heer/St. Galler Tagblatt v. 10.05.13)  

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