Ersatzschiffe beinahe doppelt so alt wie ihre Vorgänger

Sie kreuzen immer noch topfit über den Bodensee. Obwohl inzwischen über 80 Jahre alt, zeigen die 1959/60 modernisierten Schwesterschiffe „Thurgau“ und „Zürich“ noch keine Ermüdungserscheinungen. Ihre beiden Vorgänger wurden nur halb so alt und ruhen seit mehr als acht Jahrzehnten auf dem Grund des 200 Meter-Grabens, dem sogenannten „Tiefen Schweb“. Das eine Schiff, die „Helvetia“, wurde erst vor wenigen Tagen wiederentdeckt und wegen seines Schnabelbugs rasch identifiziert. Es war das erste „echte“ Halbsalonschiff für die Schweizer Bodenseeflotte in Romanshorn und eines der ersten beiden Bodenseeschiffe mit elektrischer Beleuchtung. Der Hecksalon war im neobarocken Stil mit grünem Samtplüsch ausgestaltet. Eine Verbundmaschine mit einer Leistung von 500 PS verlieh der „Helvetia“ eine Geschwindigkeit von 25,5 km/h. Bei einer Länge von 54 Metern und einer Gesamtbreite von 12,25 Metern konnten 700 Personen an Bord genommen werden. Ein erster Höhepunkt in der 45-jährigen Laufbahn der „Helvetia“ war der Einsatz als „Beleuchtungsschiff“ im Konstanzer Hafen anlässlich des ersten Besuchs von Kaiser Wilhelm II. am 29. September 1888. Der seetüchtige und robuste Dampfer verkehrte auf allen, von Schweizerschiffen befahrenen Routen zwischen Romanshorn und Rorschach nach Friedrichshafen und Lindau. Zur Abwechslung gab es im Sommer auch Sonderfahrten in den damals noch von großen Schiffen befahrbaren Alten Rhein nach Rheineck. 

SD Helvetia 1926 in der Romanshorner Werfthalle
(Bild: Sammlung Fritz)

Als im Mai 1932 das Motorschiff „Thurgau“ in Dienst gestellt wurde, diente die inzwischen 45 Jahre alte „Helvetia“ nur noch als Flottenreserve und sollte gegen Jahresende stillgelegt werden. Aber das Ende kam schneller als erwartet. Auf einer Sonderfahrt nach Lindau brach am 20. August ein Radarm des Steuerbord-Schaufelrades. Ausgerechnet die „Thurgau“ schleppte den Havaristen nach Romanshorn. Eine Reparatur lohnte sich nicht mehr und so wurde das Schiff in allen Teilen ausgeschlachtet und am 27. Oktober 1932 im „Tiefen Schweb“ versenkt, bis 81 Jahre später das nasse Grab der „Helvetia“ entdeckt wurde.

Die ausgeschlachtete Schiffsschale der "Helvetia" im Oktober 1932 im Romanshorner Werfthafen
(Bild: Sammlung Fritz)

Dasselbe Schicksal ereilte am 2. Mai 1933 die nach Indienststellung des Motorschiffes „Zürich“ entbehrlich gewordene „Säntis“. Bei dem aus dem Jahre 1892 stammenden Dampfer machte sich die Schifffahrts-Inspektion Romanshorn nicht mehr die Mühe, Maschine und Aufbauten zu demontierten. Bis auf das Steuerhaus, wurde dieser Dampfer kompakt in die Tiefe geschickt. Die „Säntis“ war eines der wenigen Bodenseeschiffe, das durch eine Dreifach-Expansionsmaschine angetrieben wurde. Die „Säntis“ war außerdem das erste Dampfschiff der Gesamtschweiz, das 1919/20 auf ölbefeuerte Kessel umgerüstet wurde. Seine letzten Fahrten absolvierte der Dampfer „Säntis“ im Spätjahr 1932, wurde dann nicht mehr in Betrieb genommen und wurde wegen der damals geringen Schrottpreise ebenso wie die „Helvetia“ entsorgt. 

Die "Säntis" wird am 02.05.1933 im Obersee versenkt.
(Bild: Sammlung Fritz)

An unbekannter Stelle, vermutlich auf der Höhe Hagnau/Altnau ruht auch der Schiffsrumpf des ersten Salondampfers „Kaiser Wilhelm“ und späteren „Baden“, ebenso wie das erste Doppelschrauben-Motorschiff „Stadt Radolfzell“, das nach nur neun Betriebsjahren wegen seiner unzuverlässig arbeitenden Motorenanlage ebenfalls zur Versenkung freigegeben wurde. Nach über 80 Jahren bringt das von der Europäischen Union geförderte Projekt „Tiefenschärfe“ endlich Licht in das Dunkel der Schiffsfriedhöfe auf dem Obersee.

  (Karl F. Fritz)  

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