Als es vor Bottighofen krachte
Vier
rostige Buchstaben markieren den Beginn der Ausstellung. So zerklüftet ist ihre
Oberfläche, dass man zweimal hinschauen muss, um das Wort zu lesen. „Jura“
steht dort. Es ist der Name des Dampfschiffes, das am 12. Februar 1864 im
dichten Nebel auf dem Bodensee mit dem Schiff Stadt Zürich kollidierte und
innerhalb von drei Minuten versank. Das
In
der Sonderausstellung Die „Titanic des Bodensees“, die am 13. April eröffnet
wurde und noch bis Ende November zu sehen ist, lassen Exponate und
Hintergrundinformationen das Schiffsunglück wieder lebendig werden. Vier
verschiedene Lederschuhe von Passagieren kann man in einer Vitrine bestaunen.
Das Leder ist verbeult und ausgefranst, doch die damalige Schuhmode ist noch gut
erkennbar. Auch Essgeschirr ist zu sehen: Ein Porzellanteller von Villeroy und
Boch, ein Glas und mehrere Flaschen zeugen von den kulinarischen Vergnügen während
der Überfahrt. Sogar ein mit Schmalz gefüllter Topf wird präsentiert. Durch
Zufall hat sich unter dem festsitzenden Deckel die Speise erhalten, die vom
kantonalen Labor des Thurgau unter Vorbehalt als Rindertalg gedeutet wurde. Ein
Länzrohr, das wegen seiner Länge schräg im Ausstellungsraum hängt, lässt
die Größe des Schiffes erahnen. Es reichte „durch das Schiff hindurch vom
Deck bis zum Schiffsboden und diente dazu, Wasser abzupumpen“, erklärt
Michael Berg, Stellvertretender Leiter des
„Der Tauchtourismus ist für uns Glück und Pech zugleich“, erklärt Berg. Glück für die Ausstellung, denn ohne die vielen originalen Anschauungsobjekte könnte der Besucher sich kein so authentisches Bild von der Jura machen. Pech aber für das Wrack, denn „der Sauerstoff aus den Taucherflaschen und die Anker der Taucherboote haben die Korrosion des Wracks stark vorangetrieben“, so Berg. Auch der Kamin des Dampfers stürzte um, weil Taucher daran rüttelten. Im Falle der Namenslettern verhielten die Taucher sich allerdings vorbildlich: Als sie die originalen Buchstaben bargen, montierten sie einen neuen Messingschriftzug. Ein Fall, der laut Berg ungewöhnlich ist.
Neben den Fundstücken machen Informationstafeln die Dampfschifffahrt auf dem Bodensee und das Ereignis anschaulich. So wird die Entwicklung der Bodenseedampfschiffe von Wilhelm von 1824 bis zur mehrfach größeren Mauretania von 1906 dargestellt. Auch die Schifffahrtslinien und ihre Verknüpfung mit dem Eisenbahnnetz im 19. Jahrhundert kann an Hand von Karten nachvollzogen werden. Zur „Jura“ und zu dem Schiffsunfall können einige Abbildungen von Dokumenten bestaunt werden.
Titanic des Bodensees
Infokasten
Die
Jura: Das Dampfschiff wurde 1854 von der Zürcher Maschinenfabrik Escher-Wyss
und Cie erbaut. Es war 46,30 Meter lang und damit von ähnlichem Format wie die
heutige MS Königin Katharina
mit 52,60 Metern. Nach nur sieben Jahren Dienst auf dem Neuenburger See wurde
sie an die Dampfboot-Actiengesellschaft Lindau verkauft. In Einzelteilen wurde
sie zum Bodensee transportiert, wo sie auf der Strecke zwischen Lindau und
Konstanz eingesetzt wurde.
Das
Schiffsunglück: Es ereignete sich am 2. Februar 1864. In dichtem Nebel
kollidierte die Jura mit dem Schiff Stadt Zürich und versank innerhalb von drei
Minuten. Die Besatzung und Passagiere konnten sich auf die schwimmfähig
gebliebene Stadt Zürich retten. Ein Matrose starb, ein Schiffsjunge wurde
verletzt. Ursache für den Unfall waren Mängel bei der Lichtführung, den
akustischen Signalen und dem Schiffsbau. Als Konsequenz wurde 1867 die
Internationale Schifffahrts- und Hafenordnung des Bodensees beschlossen.
Das
Wrack: Es liegt in 40 Metern Tiefe vor Bottighofen und ist ein beliebtes
Tauchziel. Nach Jahrzehnten in Vergessenheit wurde es 1964 von Tauchern
wiederentdeckt, die nach einem im Zweiten Weltkrieg abgestürzten Kampfflugzeug
suchten. 2003 stellte das Archäologieamt des Kantons Thurgau die Jura als
Unterwasser-Industriedenkmal unter Schutz.
(Julia Russ/Südkurier v. 12.05.12)