Vom Winterverkehr zu vorweihnachtlichen Programmfahrten

Ganzjährige Linienschifffahrt wurde 1960 aufgegeben

Der durchgehende Linienverkehr zwischen Konstanz und Bregenz war über die kalte Jahreszeit schon 1952 aufgegeben worden. Immerhin gab es danach noch drei Kurspaare zwischen Friedrichshafen und Konstanz, ebenso wie nach Überlingen. Als nach Saisonende im Oktober die großen Touristenströme versiegten, kam die Zeit der sogenannten „Winterschiffe“. Das war die in Friedrichshafen stationierte „Ravensburg“, die zusammen mit den Lindauer „Zwillingen“ „Kempten“ und „Augsburg“ wechselweise die Winterroute nach Konstanz bediente. Alle drei Schiffe stammten aus dem Jahre 1931 und waren speziell für das Anlegen bei niedrigen Wasserständen gebaut worden. Diese sogenannten „Winterschiffe“ waren gleichzeitig die ersten Einheiten auf dem Bodensee, die mit dem revolutionierenden Voith-Schneider-Antrieb ausgerüstet wurden, der ein Wendemanöver auf engstem Radius ermöglichte. Alle drei Schiffe gibt es heute nicht mehr, ebenso wenig wie die 1958 in Dienst gestellte „Grünten“, die 1964 den Namen „Lindau“ erhielt und noch zuletzt bis 1975 über das Winterhalbjahr fallweise zwischen Friedrichshafen und Romanshorn verkehrte. Ab 1960/61 beschränkte sich, die Fährverbindung Konstanz-Staad nach Meersburg ausgenommen, der Querverkehr nur noch auf die Verbindungen zwischen Konstanz und Meersburg sowie Friedrichshafen-Romanshorn. Ein Boot der sogenannten „Raubvogelklasse“ pendelte mehrmals am Tag zwischen der Bodanrückgemeinde Dingelsdorf und Überlingen. Immer mehr wurde der große See in der kalten Jahreszeit zu einer verwaisten Wasserfläche.

Der Gedanke eines attraktiven Winterprogramms bei der "Weißen Flotte" wurde zum ersten Mal im Dezember 1975 umgesetzt. Zwei Jahre zuvor war auch der ganzjährige Pendelverkehr zwischen Konstanz und Meersburg endgültig aufgegeben worden. Ausschlaggebend war ein Beschluss des Meersburger Gemeinderates, die Unterstadtstraße nicht mehr für die Linienbusse der Deutschen Bundesbahn zuzulassen. Seit Jahrzehnten zwängten sich die Bahnbusse durch das Nadelöhr des Unterstadttors, um den Passagieren aus Friedrichshafen und Überlingen den Anschluss an das Kursschiff nach Konstanz zu gewährleisten. Bis dahin genoss Meersburg den Status des einzigen Bahnhofs innerhalb der Bundesrepublik Deutschland ohne eigenen Gleisanschluss. Mit diesem "Privileg" war es nach Saisonschluss 1974 endgültig vorbei. Die Bushaltestellen in beide Richtungen wurden offiziell in den Bereich des Fährehafens verlegt. Vermutlich schien es den Bodensee-Schiffsbetrieben leicht gefallen zu sein, den defizitären Winterbetrieb zwischen Konstanz und Meersburg endgültig einzustellen. An Werktagen legte das erste Schiff schon frühmorgens um 6.15 Uhr in Konstanz ab, der letzte Kurs verließ um 18.30 Uhr den Hafen. Immerhin war damals aus nachvollziehbaren Gründen eine Monatskarte für Berufspendler mit dem Bundesbahnschiff preiswerter als auf den Fähren der Konstanzer Stadtwerke!

Im Jahre 1974 brachte der neue Vorstand der Bodensee-Schiffsbetriebe frischen Wind in das Ausflugsprogramm der "Weißen Flotte". Wenn auch die Querverbindung zwischen Friedrichshafen und Romanshorn ausgenommen, der Kursverkehr über die kalte Jahreszeit ruhte, so wurden an zwei Sonntagen im Dezember 1975 erstmals Adventsfahrten veranstaltet. Beide Fahrten erwiesen sich mit fast jeweils 400 Teilnehmern als voller Erfolg. Die Innenräume der "München", dem damaligen Renommierschiff der Konstanzer Flotte, waren bis auf den letzten Platz besetzt. Die Fahrt führte bei vorweihnachtlicher Musik am frühen Nachmittag durch den Konstanzer Trichter in den Überlingersee. Der Kapitän hielt eine kurze Ansprache, dass der Bodensee auch im Winter ein besonderes Erlebnis sei und brachte seine Freude zum Ausdruck, dass so zahlreiche einheimische Fahrgäste dieses einmalige Angebot nutzten. Das Anlegemanöver in Dingelsdorf wurde zum großen Finale, denn hier kamen St. Nikolaus und Knecht Ruprecht an Bord. Den Schutzpatron der Seefahrer verkörperte damals ein bekanntes Konstanzer Original. Einmal hätte er mit seinem Assistenten beinahe das Schiff verpasst! Beide saßen noch in "Zivilkleidung" im Restaurant "Seeschau", als plötzlich die unverkennbare Silhouette der "München" aus dem Nebel auftauchte. In aller Eile tranken beide ihr Glas Wein aus, warfen ihre Gewänder über und schritten im Eiltempo über den Landungssteg. Einigen Passagiere auf dem Mitteldeck war die Umkleideaktion in der direkt am See liegenden Gaststätte nicht entgangen. Als der Nikolaus in zurückgefundener Würde das Schiff mit dem üblichen "Draußen vom Walde komm' ich her...!" betrat, rief ein Fahrgast dazwischen: "Alles gelogen, ihr kommt aus der Seeschau...!"

Ab 1976 wurden diese Fahrten auch auf die anderen deutschen Bodenseehäfen und dieses Mal an allen vier Sonntagen im Advent ausgedehnt. Während die "München" weiterhin durch den Überlingersee kreuzte, führten die Fahrten ab Friedrichshafen und Lindau quer über den See in die Rorschacher Bucht. In der Regel waren es auf dem Obersee die Schiffe "Stuttgart" und "Konstanz", später auch ältere Einheiten wie die "Schwaben" und die "Allgäu". Beide Schiffe legten nacheinander in Rorschach an, wo sie vom Hafenmeister über die Lautsprecheranlage begrüßt wurden. Anschließend stellten sich beide Schiffe Bug an Bug auf wo die „Bordnikoläuse“ ebenfalls über ein Megaphon ihre besten Grüße und Wünsche austauschten. Dabei reagierten besonders die kleineren Kinder frustriert. Denn in ihrer Vorstellungswelt existierte nur ein einziger Nikolaus. Selbst als der "Häfler"-Nikolaus beteuerte, dass eben jeder Uferstaat seinen himmlischen Vertreter hätte, blieben die kleinen Fahrgäste argwöhnisch. Bald schlossen sich auch die schweizerische und österreichische Bodenseeschifffahrt mit einem eigenen Programm an. Im Jahre 1985 war die Flotte der Adventsschiffe auf vier große Einheiten angewachsen, die sich vor der eindrucksvoll verschneiten Alpenkulisse ein Stelldichein gaben und damit bestätigten, dass eine Schifffahrt auf dem Bodensee auch in der kalten Jahreszeit attraktiv sein konnte. 

Schon im Jahre 1978 waren in enger Zusammenarbeit zwischen den Bodensee-Schiffsbetrieben und dem Konstanzer Einzelhandel an allen verkaufsoffenen Samstagen im Advent sogenannte „Einkaufsfahrten“ ins Leben gerufen worden. Im ersten Morgengrauen verließ die „München“  den Konstanzer Hafen und nahm Kurs auf Überlingen, wo am Landungsplatz oft schon bis zu 100 Passagiere warteten. Dieses Publikum nutzte nicht nur das Angebot eines Einkaufsbummels in der Konzilstadt, denn es waren auch zahlreiche Stammgäste, die das damals kaum mehr für möglich gehaltene Angebot einer winterlichen Bodenseefahrt in Anspruch nahmen. In Unteruhldingen und Meersburg stiegen weitere Gäste zu und oft waren dann die Innenräume bis auf den letzten Platz besetzt. Das Schiff verkehrte viermal am Tag zwischen Konstanz und Überlingen. Ab 1990 wurde die „München“ von der neuen „Graf Zeppelin“ abgelöst, wodurch sich dank der größeren Innenraum-Kapazität das Platzangebot entscheidend verbesserte. Aus strukturellen Gründen wurden diese Fahrten zum Leidwesen zahlreicher Seeanwohner im Jahre 1995 wieder eingestellt. Zum Finale gestalten sich die zum Jahreswechsel veranstalteten Silvesterfahrten. Aus allen großen Häfen treffen sich die festlich illuminierten Bodenseeschiffe zu einem Stelldichein auf dem winterlichen See. Zur Begrüßung des Neuen Jahres wird dann von der Mole in Friedrichshafen ein großes Feuerwerk abgebrannt. Danach kehrt wieder winterliche Ruhe auf dem See ein. Nur die Fährschiffe und Katamarane ziehen weiterhin ihre Kielwasserspuren. Aber mit den ersten Strahlen der Frühlingssonne erwacht auch die „Weiße Flotte“ wieder zu neuem Leben.

(Karl F. Fritz)  

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