Als ein Schiffsnamen für Aufruhr sorgte

Schiffstaufe in Fußach führte im November 1964 zu einem Volksaufstand

Eigentlich war das neue Dreideck-Motorschiff pünktlich zur Ostersaison 1965 für den Linienverkehr zwischen Bregenz und Konstanz eingeplant. Daraus wurde aber nichts, denn die Vorarlberger Bevölkerung machte den Dienststellen der damaligen Österreichischen Bundesbahnen einen Strich durch die Rechnung. Die Bestrebungen zum Bau eines mittelgroßen Fahrgastschiffes für die österreichische Bodenseeflotte waren seit 1955 an der Finanzierung gescheitert. Erst 1962 entschlossen sich die Österreichischen Bundesbahnen für den Bau eines großen Dreideck-Motorschiffes, das mit Eigenkrediten finanziert werden konnte. Zu dieser Entscheidung mochten auch die deutschen Neubauschiffe „Stuttgart“ und „München“ beigetragen haben. Der Bauauftrag wurde 1963 an die Schiffswerft Korneuburg vergeben und im Frühsommer 1964 begann auf der Fußacher Helling die Endmontage. Als erstes Bodenseeschiff wurden alle Einzelteile in Sektionsbauweise hergestellt, die einen raschen Zusammenbau ermöglichte. Als die Saison zu Ende ging, war der Neubau bis auf wenige Details fertiggestellt. Die einheimische Bevölkerung hatte sich schon immer ein Schiff mit dem Namen „Vorarlberg“ gewünscht. Als aber der damalige Verkehrsminister Otto Probst in Presse und Rundfunk bekanntgab, das Schiff würde den Namen „Karl Renner“ erhalten, erfasste eine Woge der Entrüstung das „Ländle“. Aus der Sicht des Wiener Verkehrsministeriums war dieser Namensentscheid durchaus nachvollziehbar, denn gleichzeitig entstand auf der Werft in Korneuburg das neue Kabinenschiff „Theodor Körner“ für die Donau. Aber die Vorarlberger fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Gehörte der sogenannte Personenkult bei Schiffnamen nicht schon seit 1919 der Vergangenheit an? Karl Renner war der erste österreichische Bundespräsident nach dem Zweiten Weltkrieg und ein geschätzter Politiker gewesen, der sich um die Republik zwar große Verdienste erworben hatte, aber nie in einem direkten Zusammenhang mit dem Bodensee und dem Bundesland Vorarlberg gestanden hatte. Obendrein fühlten sich die föderalistisch gesinnten Vorarlberger von der Kanzlei Renner in mehreren Belangen stiefmütterlich behandelt. Aber nicht die Person Renners, sondern die mutmaßlichen Zentralismus-Bestrebungen der Wiener Bundesregierung waren ausschlaggebend für die Massendemonstration am 21. November 1964 auf dem Werftgelände von Fußach. Schon am 17. November lehnte die Vorarlberger Landesregierung gemeinsam mit anderen Behörden eine Teilnahme an dem Taufakt kategorisch ab. Die in den Vormittagsstunden des 21. November mit einem Sonderzug eingetroffenen Ehrengäste aus Wien wurden schon am Bregenzer Bahnhof von rund 1000 ausgebrachten Demonstranten mit Transparenten, Tomaten und dem Schmähruf „Obst für Probst“ empfangen. Die Fahrt auf das Werftgelände, wo sich inzwischen rund 20.000 Demonstranten eingefunden hatten, wurde für die Wiener Prominenz zum Spießrutenlauf. Die Lage geriet außer Kontrolle, denn die 130 aufgebotenen Beamten von Polizei und Gendarmerie waren nur noch in der Lage, die Festgäste auf dem aus Bregenz eingetroffenen Motorschiff „Österreich“ in Sicherheit zu bringen. Aber auch auf dem aus dem Jahre 1928 stammenden Motorschiff gingen mehrere Fensterscheiben durch Steinwürfe zu Bruch. Unberührt von diesen Tumulten ragten die wohlproportionierten Aufbauten des zukünftigen Flaggschiffes über die Helling. Nun wurde die Festtribüne von den Demonstranten gestürmt, der Namen „Karl Renner“ mit schwarzer Farbe überpinselt und ein Transparent mit dem Namen „Vorarlberg“ entfaltet. Unzählige Spruchbänder wie „Was soll der Wiener Schmäh – Vorarlberg liegt am Bodensee“, oder „Karl Renner in Ehren – doch Vorarlberg kann uns Niemand verwehren“, machten dem Unmut der Vorarlberger Bevölkerung Luft.

Diese Vorfälle lösten eine heftige Kontroverse zwischen dem Land Vorarlberg und der Wiener Bundesregierung aus, die sich bis in den Frühsommer 1965 hinzog. Das neue Schiff hatte inzwischen mehrere Probefahrten erfolgreich absolviert, aber an eine definitive Inbetriebnahme war unter den gegebenen Umständen nicht zu denken. Als die Hauptfahrplanperiode begann, blieb der Schifffahrtstelle Bregenz keine andere Möglichkeit, als die schon abgeschriebene „Stadt Bregenz“ bis auf weiteres noch einmal unter Dampf zu setzen. Erst am 30. Juli 1965 gab das österreichische Verkehrsministerium fernmündlich den Namen „Vorarlberg“ frei und beendete den sich über acht Monate hinziehenden Namensstreit um den neuen Stolz der österreichischen Bodenseeflotte. Das Ende des Salondampfers „Stadt Bregenz“ war weniger spektakulär als das Tauziehen um den Namen der Nachfolgerin. Nach seiner letzten Rückkunft aus Konstanz wurde der Dampfer am 11. August 1965 sang- und klanglos abgestellt und rostete bis zu seiner Verschrottung im Jahre 1967 still vor sich hin.

Die „Vorarlberg“ wurde schon am darauffolgenden Tag dem Kurspaar 112/117 zugeteilt. „Dieses Schiff hat Rasse“ urteilte schon nach wenigen Wochen die nautische Fachpresse. Andere bezeichneten dieses ebenso imposante wie elegante Schiff als eine „1000-Personen-Jacht“. Zum ersten Mal war die Anzahl der Sitzplätze mit der zulässigen Personenzahl identisch. In der 2. Klasse fanden 685 Fahrgäste Platz, der ersten Klasse standen 315 Plätze zur Verfügung. Auch der Komfort in den Innenräumen lag über dem damaligen Durchschnitt. Die neue „Vorarlberg“ war in der Tat ein Schiff der Superlative. Neben wertvollen Stilmöbeln schmückte den Speisesaal der ersten Klasse ein Ölgemälde des Hohen Freschen, einem der markantesten Voralpengipfel des Bregenzer Waldes. Beleuchtete Vitrinen mit hübschen Trachtenpuppen und liebevoll nachgebildeten Bauernstuben vervollständigten die zwar moderne, aber doch anheimelnde Bordatmosphäre. Unbestätigte Quellen berichten sogar über einen geplanten Swimmingpool auf dem Sonnendeck der I. Klasse, der aber nie eingebaut wurde. Auch nach 50 Jahren ist die „Vorarlberg“ eine nautische Augenweide geblieben. Antrieb und Geschwindigkeit waren mit der 25 Jahre älteren „Austria“ identisch. Zwei jeweils 600 PS starke MAN-Sechszylinder-Motoren, übertragen auf zwei Voith-Schneider-Propeller, ermöglichten eine Höchstgeschwindigkeit von 31 Stundenkilometern. Mit 61,95 m Gesamtlänge war die „Vorarlberg“ gleichzeitig das längste Fahrgastschiff der „Weißen Flotte“ und übertraf damit ihre bauartgleichen deutschen „Halbschwestern“ „Stuttgart“ und „München“ um rund viereinhalb Meter. Allerdings orientierte sich die Länge dieser Schiffe an die Vorgaben des Bundesbahn-Zentralamtes in München. Denn die Einstiegdecks wurden genau auf die Niedrigwasser-Rampen in allen Häfen und Landestellen abgestimmt. Eine solche Maßnahme wäre bei den inzwischen überall eingeführten Schwimmstegen nicht mehr notwendig gewesen. Gab es bei Pegelständen unter einem Wert von drei Metern bei den neueren Schiffen aus der Bodanwerft keinerlei Probleme, so musste die „Vorarlberg“ im Konstanzer Hafen generell an den Landungsplätzen 6 und 7 am mittleren Kai anlegen! Zwischen 1998 und 2000 wurde die „Vorarlberg“ in mehreren Etappen grundlegend renoviert. Neben einer neuen Inneneinrichtung und Infrastruktur wurden auch die ursprünglichen Antriebsdiesel gegen eine neue Motorengruppe des Fabrikates MTU ausgewechselt. Auch mit einem Alter von fast 50 Jahren bleibt das charaktervolle Schiff eine nautische Augenweide und zählt noch immer zu den herausragenden Persönlichkeiten der „Weißen Flotte“.

(Karl F. Fritz 2014)

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