Wie das „Teufelsschiff“ Zürich 
die „Titanic vom See“ zum Sinken brachte

Das Schiffsdrama vor Münsterlingen: Vor 150 Jahren geht die „Jura“ unter

Das wohl bekannteste Schiffswrack in Mitteleuropa liegt in 42 Metern Tiefe auf dem Grund des Bodensees: die „Jura“. Längst war der Dampfer in Vergessenheit geraten, bis er 89 Jahre nach seinem Untergang durch Zufall wiederentdeckt wurde.

Die Witwe eines 1944 über Friedrichshafen abgeschossenen Piloten beauftragte den Taucher Hans Hain mit der Suche nach dem zweimotorigen Messerschmitt-Zerstörer-Flugzeug, in dessen Cockpit noch die Besatzung vermutet wurde. Weder das Flugzeug noch die Besatzung wurden gefunden. Dafür stieß der Taucher auf eine lange Röhre, die sich als Kamin der „Jura“ herausstellte. Danach wurde es aber wieder still um den gesunkenen Dampfer.

Erst im Jahre 1976 wurde er von dem Taucher Hans Gerber aus Kreuzlingen, inzwischen als „Jura-Hans“ bekannt, neu entdeckt. Die Tauchgänge zur „Jura“ sind für Gerber seither zu einer Passion geworden. „Es gibt immer etwas Neues zu entdecken“, bekräftigt der inzwischen 74 Jahre alte Gerber. Das Schicksal der „Jura“ wurde in einer Sonderausstellung des Seemuseums Kreuzlingen im Jahre 2012 unter der Leitung des damaligen wissenschaftlichen Mitarbeiters Michael Berg und dem Sipplinger Architekten Ulrich Seitz anhand von Exponaten und zeitgenössischen Schilderungen eindrucksvoll und zeitnah dokumentiert. Die Ausstellung unter der Bezeichnung „Die Titanic vom Bodensee“ fand bei den Besuchern großen Anklang.

Es mag wie eine Ironie des Schicksals anmuten, dass ausgerechnet das Ersatzschiff des nach einer Kollision mit dem Schweizer Dampfer „Stadt Zürich“ am 11. März 1861 gesunkenen bayerischen Dampfers „Ludwig“, rund zwei Jahre später abermals diesem Schiff zum Opfer fiel. Bei Sturm und dichtem Schneetreiben war die „Ludwig“ vom Schweizer Dampfer „Stadt Zürich“ in Höhe Altenrhein gerammt worden und sank innerhalb von wenigen Minuten. Dabei waren elf Todesopfer zu beklagen. Zahlreiche Ladungsgegenstände und 13 Stück Vieh wurden ebenfalls in die Tiefe gerissen. Die „Stadt Zürich“ erreichte mit eingedrücktem Vorsteven den Hafen von Rorschach.

„Zürich“ schlägt wieder zu

Als Ersatz für diesen Dampfer beschaffte sich die bayerische Schifffahrtsverwaltung den aus dem Jahre 1854 stammenden Dampfer „Jura“. Die „Jura“ sollte zunächst auf dem Vierwaldstättersee verkehren, wurde aber noch während des Transportes an die bayerische Bodenseeschifffahrt weiterverkauft. Der Dampfer wurde mit insgesamt 22 Ochsengespannen nach Uttwil überführt und dort wieder zusammengebaut. Obwohl das Schiff seinen Eigner und auch das Einsatzgebiet wechselte, war auf eine Umtaufe verzichtet worden. Knapp zwei Jahre lang leistete der nun unter bayerischer Flagge verkehrende Dampfer zuverlässige Dienste, bis auch er ein Opfer der „Stadt Zürich“ wurde.

Über dem See lag dichter Nebel, als die „Jura“ in den Vormittagsstunden des 12. Februar 1864 den Konstanzer Hafen zur Fahrt in Richtung Romanshorn-Lindau verließ. Kapitän Motz hatte alle für Fahrten bei unsichtigem Wetter notwendigen Vorkehrungen getroffen. Am Bug war ein Nebelausguck postiert worden und weitere Matrosen wachten auf den Radkästen. In regelmäßigen Abständen wurden mit der Dampfpfeife und der Schiffsglocke Nebelsignale gegeben. In der Höhe von Bottighofen wurden die Signale eines anderen Schiffes hörbar. Dann ging alles sehr schnell. Kapitän Blumer auf der „Stadt Zürich“ hatte die Signale wahrgenommen, beide Schiffe versuchten einander auszuweichen. Hätten beide Dampfer ihren Kurs beibehalten, wäre es vermutlich zu keiner Kollision gekommen. Da aber die Schiffe versuchten, sich gegenseitig auszuweichen, krachten sie frontal aufeinander. Durch den Aufprall wurde der Bugmatrose der „Jura“ getötet. Da das Schiff mit rund 20 Tonnen Frachtgut, darunter eine größere Menge an Stahlbändern geladen hatte, begann es schnell zu sinken. Die Besatzung der „Stadt Zürich“ reagierte geistesgegenwärtig und konnte alle Passagiere der „Jura“ übernehmen. Für den Bugausguck, ein Servierfräulein in der vorderen Kajüte und den Maschinisten, die sich nicht mehr rechtzeitig an Deck retten konnten, kam allerdings jede Hilfe zu spät. So endete das kurze Gastspiel des einstigen Neuenburgersee-Dampfers auf dem Bodensee. Vor einigen Jahren wurde das Schiff unter den Schutz der Denkmalbehörde des Kantons Thurgau gestellt. Die Bestrebungen einer Interessengemeinschaft aus Tägerwilen, die „Jura“ zu heben oder möglicherweise sogar wieder in Fahrt zu setzen, wurden inzwischen aus technischen wie aus Kostengründen ebenfalls aufgegeben. Damit wird die „Jura“ wohl für alle Zeiten auf dem Grund des Bodensees ruhen.

Verwunschene Planken

Der Dampfer „Stadt Zürich“, der nach einem Umbau im Jahre 1884 nur noch „Zürich“ hieß, überlebte die gesunkene „Jura“ noch um 55 Jahre. Neben den folgenschweren Zusammenstößen mit der „Ludwig“ und der „Jura“, war die „Zürich“ noch an mehreren weiteren Kollisionen beteiligt, die dem Dampfer den wenig schmeichelhaften Spitznamen „Teufelsschiff“ einbrachten. Schon im Jahre 1860 war er an einer Kollision mit der „Königin von Württemberg“ beteiligt und wenige Monate nach dem „Jura“-Desaster riss er dem Dampfer „Stadt Lindau“ den Radkasten auf. Abergläubische Passagiere sollen dieses Schiff sogar gemieden haben. Trotz aller Unfälle war die aus dem Jahre 1855 stammende „Zürich“ ein langlebiges Schiff. Es diente in seinen letzten Betriebsjahren noch lange Zeit als Reserveeinheit, bevor der Dampfer als indirekte Folge des Ersten Weltkrieges aufgelegt und schließlich im Jahre 1919 abgewrackt wurde.

(Karl F. Fritz/Schwäbische Zeitung v. 11.02.14)

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