Mit der „Stadt Konstanz“ nach Bregenz
Eine Dampferfahrt zu Urgroßvaters Zeiten
Auf der Konstanzer Rheinbrücke mit ihren
altehrwürdigen Steinfiguren empfängt uns die sich in südöstlicher Richtung fast unermesslich dehnende Wasserfläche des im Schein der
Morgensonne glänzenden Obersees. Über den Wäldern und Wiesen des Thurgauer Seerückens hebt sich schemenhaft die markante Kulisse des
Alpsteingebirges mit seinen Hauptgipfeln Säntis und Altmann ab. Gezogen von einer fauchenden Tenderlokomotive rollt ein Personenzug
stadtauswärts. Die zweiachsigen Personenwagen sind nur noch mäßig besetzt, denn der sogenannte „Arbeiterzug“ mit den Werktätigen der großen
Fabriken in Singen, hat schon vor gut einer Stunde den Bahnhof verlassen. Unbeeindruckt von dieser alltäglichen Szene, ragt der markante
Turm der Basilika mit seiner durchbrochenen Spitze über die Dächer der Altstadt.
Unser Weg führt an diesem Septembermorgen über den Susosteig, vorbei an der
Dominkanerinsel und den Stadtgarten zum Hafen. Das über mehrere Jahrzehnte noch als Hafenmeisterei genutzte alte Werftgebäude wurde im
zurückliegenden Winter 1912/13 abgebrochen. Nun bietet sich ein freier Blick auf den Hafen und die rauchenden Dampfschiffe. Ein frischer
Ostwind treibt den Kohlenrauch aus den Schornsteinen stadteinwärts. Breit und mächtig, den Bug zur Ausfahrt gerichtet, wartet am
Landungsplatz vor dem Konzilgebäude die „Stadt Konstanz“, mit der wir heute nach Bregenz
fahren wollen. Dunkle Rauchwolken wälzen sich aus dem massigen, leicht untersetzt wirkenden Schornstein und unter den Radkasten-Anbauten
steigt in unregelmäßigen Abständen weißer Dampf auf. Bevor die Maschine ihre volle Betriebsbereitschaft erreicht, müssen die Zylinder
angewärmt werden. Die Anzeigetafel bei der Hafenuhr bestätigt, dass die „Stadt Konstanz“ dem Kurs nach Bregenz zugeteilt wurde. Es ist also
„unser Schiff“. Vor der „Stadt Konstanz“ liegt die flach und langgestreckt gebaute „Schweiz“ der
Dampfboot-Gesellschaft aus Schaffhausen. Unter dem wachsamen Auge des Kapitäns ist die Besatzung des Flussdampfers mit dem Reinigen des
holzbeplankten Decks beschäftigt. Am mittleren Personenkai steht die Abfahrt des Kursdampfers „Greif“
in Richtung Überlingen unmittelbar bevor. Dieser aus dem Jahre 1877 stammende Dampfer beeindruckt auch nach 36 Betriebsjahren immer noch
durch seine eleganten und filigranen Proportionen. Die Freidecks sind gut besetzt und aus dem Abdampfrohr zischt eine lange Strähne
überschüssigen Dampfes. Hinter der „Greif“ rüstet die schon am Vorabend eingetroffene österreichische
„Kaiserin Maria Theresia“ für den Schnellkurs nach Bregenz. Vor dem üblichen
„Rein Schiff“ werden noch rund sieben Tonnen Kohlen übernommen. Eine Schubkarrenladung nach der anderen verschwindet in den Schüttlöchern
der Kohlenbunker zu beiden Seiten des Kesselschachtes. Nach beendeter Arbeit wird Istvan, der ungarische Schiffskoch mit einem herzhaften
Frühstück aufwarten. Die beiden Heizer reiben sich zufrieden die Hände, denn die bei den badischen Schiffen verwendete Saarkohle hat einen
bedeutet höheren Brennwert, als die normalerweise bei den österreichischen Dampfern verfeuerte Braunkohle. Mit den beiden Großmasten und dem
gelb gestrichenen Schornstein hinterlässt die „Kaiserin Maria Theresia“ wie alle österreichischen Bodenseeschiffe einen besonders maritimen
Eindruck. Vom Trajektgleis auf dem Werftkai hallt in langen Abständen der Auspuffschlag einer Rangierlokomotive, die gerade eine Reihe von
Güterwagen auf den Trajektkahn „Ludwigshafen“ verschiebt, der später im Schlepptau der alten
„Mainau“ ebenfalls nach Bregenz auslaufen wird.
Die Hafenuhr zeigt inzwischen 7.30 Uhr an und auf die „Stadt Konstanz“ steigen
die ersten Fahrgäste zu. Noch 15 Minuten bis zur Abfahrt und damit auch für uns höchste Zeit, sich am Fahrkartenschalter anzustellen:
„Zweimal zweiter Platz nach Bregenz hin- und zurück bitte!“. Der kleine Schalterbeamte mit Halbglatze, üppigem Schnurrbart und Nickelbrille
sieht uns kurz an und legt die beiden Fahrkarten in die Ausgabe: „Macht Zehnmarkvierzig bitte!“
Während des Einsteigens werden die Fahrgäste vom Kontrollmatrosen auf die
beiden Schiffsklassen verwiesen. „Grüne Fahrkarten bitte nach hinten durchgehen, braune Fahrkarten bleiben auf dem Hauptdeck oder in die
Kajüte. Im Schiffsinnern umfängt uns der unverkennbare Atem des Dampfschiffes. Der Geruch von heißem Öl, Kohlen und siedenden Dampfes. Um
die offene Maschinenluke auf dem Hauptdeck drängen sich die Passagiere aller Altersgruppen, vom würdigen Herrn mit Melone und dunklem Mantel
bis zum kleinen Buben im kecken Matrosenanzügle. Gespannt blicken alle hinunter auf die noch im rötlichen Widerschein der Kesselfeuer
schlummernden Antriebskurbeln. In wenigen Minuten wird sich die rund 700 Pferdestärken leistende Maschine in Bewegung setzen. Obermaschinist
Josef Scherrer mustert noch einmal die Wasserstandsgläser der beiden Kessel und nimmt seinen Platz an der Maschinensteuerung beim
Hochdruck-Zylinder ein. Beide Manometer zeigen den maximalen Dampfdruck von 9,5 Atmosphären an. Pünktlich um 7.45 Uhr schrillt das
Klingelzeichen von der Brücke.
Leinen los
Kräftige Matrosenfäuste schieben die Einstiegtreppe an Land, die Enden der
gelösten Drahtseile klatschen aufspritzend von den Dalben ins Hafenwasser. Durch das Sprachrohr kommt das Kommando „Langsam vorwärts!“ Das
Stahlungetüm reckt seine blanken Glieder. Erst langsam, dann immer schneller beginnen Treibstangen und Kurbeln im Gegenrhytmus zu arbeiten.
Die „Stadt Konstanz“ verlässt den Hafen und erreicht den offenen See im Konstanzer Trichter. Hell leuchten die Gründerzeitfassaden an der
Seestraße herüber. Die Türme des Münsters und der Stephanskirche verschwinden für einen Augenblick hinter einer dunklen Rauchfahne, die aus
dem Schornstein quillt. Vor den Kesseln schaufeln die beiden Heizer Josef Gerspacher und Werner Hofsbein Lage um Lage neuer Kohlen in die
Feuerlöcher. Bei der badischen Flotte genießt die „Stadt Konstanz“ den Ruf als schnelles und außerordentlich robustes Seeschiff, gilt aber
mit einem Verbrauch von rund 26 Kilogramm pro Fahrtkilometer auch als „Kohlenfresser“, was für die beiden „schwarzen Gesellen“ vor den
Feuerungen Schwerstarbeit bedeutet. Die Maschine arbeitet mit 44 Umdrehungen und die beiden Schaufelräder treiben das Schiff mit einer
Kursgeschwindigkeit von 22 Stundenkilometern vorwärts. Über der verschlossenen Einstiegsluke zu den Schaufelrädern sind an den Innenseiten
der Radkästen zwei Messingtafeln angebracht, die auf die Herkunft des Schiffes hinweisen: „Gebrüder Sachsenberg Rosslau an der Elbe und
Köln-Deutz 1900“ und „Gebrüder Sulzer, Winterthur/Schweiz & Ludwigshafen/Rhein“. Inzwischen sind 10 Jahre vergangen, seit die „Stadt
Konstanz“ von Gebrüder Sulzer unter der Leitung des versierten Schiffbau-Ingenieurs Gunnar Hammershaimb umgebaut wurde. Die Schiffbauer von
der Elbe lieferten zwar einen stattlichen, aber aus der Sicht des Auftraggebers nicht in allen Anforderungen zufriedenstellenden Dampfer.
Ursprünglich hätten beide badischen Neubauten der Jahre 1901/2 bei Sulzer entstehen sollen. Aber die Winterthurer Maschinenfabrik konnte nur
die termingerechte Ablieferung eines Schiffes garantieren, da die Werkshallen schon mit den Neubauten „Uri“ für den Vierwaldstättersee und
„Lausanne“ für den Genfersee ausgelastet waren. So wurde der Bauauftrag für die „Stadt Konstanz“ nach Rosslau an der Elbe vergeben. Die
Endmontage auf der Konstanzer Werft ging planmäßig vonstatten und am 27. November 1900 lief das neue Schiff vom Stapel. Bei den ersten
Probefahrten erfüllte die Stabilität der „Stadt Konstanz“ nicht ganz die Erwartungen des Auftraggebers, auch lag die Geschwindigkeit des
Schiffes mit 25,15 km/h deutlich unter den geforderten 26 km/h. Nach Absprache mit Chefingenieur Friedrich Courtin der Karlsruher
Eisenbahndirektion, erklärte sich Sulzer bereit, diese Mängel nach Ablieferung des zweiten Schiffes, der
„Stadt Meersburg“ zu beheben. Am 27. Dezember 1902 wurde die „Stadt Konstanz“ aufgestapelt,
der Schiffsrumpf in drei Teile zerlegt und durch den Einbau von zwei anderthalb Meter langen Segmenten von 52,5 Metern in der Wasserlinie
auf 55,5 Meter verlängert. Außerdem wurde im maschinellen Bereich der Hochdruckzylinder gegen eine größere Ausführung ausgetauscht. Während
die „Stadt Meersburg“ schon eine Kesselgruppe für den ökonomischeren Heißdampfbetrieb erhalten hatte, wurde die Nassdampfanlage der „Stadt
Konstanz“ nicht ausgetauscht. Dennoch konnten die Umbauarbeiten im Mai 1903 erfolgreich abgeschlossen werden. Nicht nur der Längstrimm des
Schiffes hatte sich entscheidend verbessert, sondern auch die Geschwindigkeit. Die geforderten 26 km/h konnten bei 40 Prozent Füllung im
Hochdruckzylinder mühelos gehalten werden und für die Fahrtdauer von einer Stunde wurden sogar 28,1 km/h erreicht.
Hinter dem Eichhorn, der südöstlichsten Spitze des Bodanrücks, öffnet sich der
Blick auf das bedeutende Fischerdorf Staad, die Insel Mainau und bewaldeten Höhenzüge des Linzgaus. Schon aus größerer Distanz lässt sich
der Flaggenschmuck am Giebel von Schloss Mainau ausmachen. Denn am späten Nachmittag dieses 12. September 1913 werden der Kaiser und die
Mitglieder des Deutschen Reichstages auf der Insel erwartet. Auf dem Programm des Staatsoberhauptes steht unter anderem auch eine
Besichtigung der neuen Marine-Luftschiffe in Friedrichshafen. Deshalb wurde auch der alte
Salondampfer „Kaiser Wilhelm“ aus dem Kurseinsatz gezogen. Außerhalb des Trichters werden die Kessel ausgeblasen und das ganze Schiff
auf Hochglanz herausgeputzt. Immer eindrucksvoller wächst die Kulisse von Meersburg mit der altersgrauen Merowingerburg und der Fassade des
neuen Barockschlosses über den Seespiegel. Auch der Dampfer „Stadt Überlingen“ mit den
Anschlussreisenden aus dem Überlinger- in den Obersee strebt aus Unteruhldingen kommend, Meersburg entgegen.
Kurs Obersee
Nach dem Aus- und Einsteigen der Passagiere nimmt die „Stadt Konstanz“ wieder
Fahrt auf. Die Anzahl der Fahrgäste hat in Meersburg beträchtlich zugenommen und es befinden sich nun rund 400 Personen an Bord. Zugestiegen
ist auch eine Schulklasse aus Salem, die sich beim Hauptmast um die Lehrerin geschart hat und das Lied „Nun ade du mein lieb Heimatland…!“
anstimmt. Nach einem wohlwollenden Blick auf die singende Kinderschar, schreitet Kapitän Erwin Schroff an das messingglänzende Sprachrohr
und gibt das Kommando „Volle Kraft voraus!“ in den Maschinenraum. Das Schiff ruckt spürbar unter den Kolbenstößen der jetzt mit höherer
Drehzahl arbeitenden Maschine. In Hagnau werden mehrere Holzkisten mit geräucherten Felchen und eine Fuhre Wein nach Friedrichshafen
übernommen. Zu allem Überfluss müssen sich jetzt die Passagiere des 2. Platzes das Vorschiff mit den ausgestapelten Kisten und den
Weinfässern teilen. Aber was hilft es, denn auch die Güterbeförderung bleibt ein wesentlicher Bestandteil der internationalen
Bodenseeschifffahrt.
Die Zeit vergeht wie im Fluge. Kurz nach Verlassen der Anlegestelle Immenstaad
kommt ein großer, in einem hellen, elfenbeinfarbenen Ton gestrichener Dampfer in Sicht. Es ist die
„Bavaria“, der neue Stolz der bayerischen Bodenseeflotte und mit 30,3 km/h gleichzeitig das schnellste Fahrgastschiff. Bis zum
zurückliegenden Juli war die „Bavaria“ sogar das schnellste Schiff auf mitteleuropäischen Gewässern, wurde dann aber aus dieser Rolle von
dem neuesten Vierwaldstättersee-Dampfer „Gallia“ verdrängt, der bis zu 31,2 km/h erreicht.
Die Manzeller Bucht mit der riesigen, schwimmenden Luftschiffhalle kommt in
Sicht. Die „Stadt Konstanz“ krängt nach Backbord, da sich zahlreiche Schaulustige an der Reling drängen, um einen Blick auf die große Halle
zu werfen, aus der das stoffbespannte Leitwerk eines der neuen Luftschiffe herausragt. Sein Start steht unmittelbar bevor, denn der kleine
Schraubendampfer „Buchhorn“ und das Motorboot „Weller“ mühen sich unter Aufbietung aller
Maschinenkraft, um die Halle in die gewünschte Position zu bugsieren.
Nun nähert sich das Schiff der doppeltürmigen Schlosskirche von
Friedrichshafen, seit 1824 auch die Sommerresidenz des württembergischen Königshauses. Im selben Jahr stach von hier aus auch das erste,
funktionstüchtige Dampfboot „Wilhelm“ in See.
Sprengmanöver
Im Kielwasser des aus Romanshorn kommenden
Dampfers „Rhein“, steuert die „Stadt Konstanz“ die Hafeneinfahrt von Friedrichshafen an. Mit seinem skurill wirkenden Zieranstrich hebt
sich der aus dem Jahre 1906 stammende Dampfer deutlich von allen anderen Bodenseeschiffen ab. Während die „Rhein“ an der Zollpier vor dem
Salzstadel anlegt, macht die „Stadt Konstanz“ am Kai des in das Hafenbecken hineinragenden Damms fest. Auf der anderen Seite liegt
abfahrbereit der neue Stolz der württembergischen Flotte, das erst vier Monate zuvor in Dienst gestellte
Dampfschiff „Hohentwiel“. Sein Aussehen entspricht ganz dem vor vier Jahren gelieferten
Schwesterschiff „Friedrichshafen“ und wirkt durch den weiß verkleideten Schornstein und
die eleganten Linien besonders maritim. Die Liegezeit in Friedrichshafen beträgt eine gute Viertelstunde, da der Schiffsfahrplan auf die
ankommenden Züge aus der Richtung Stuttgart und Ulm abgestimmt ist. In der Terrassengaststätte des Hafenbahnhofs, der sich an den Salzstadel
anschließt, herrscht an diesem Spätsommertag Hochbetrieb. Die Wirtsleute Schmalzigaug und ihre dienstbaren Geister haben alle Hände voll zu
tun, um den Wünschen eines illustren Reisepublikums nachzukommen. Die schwäbische Spezialitätenküche des Restaurants wird sogar vom
württembergischen König geschätzt. Vom pünktlich eingetroffenen Stuttgarter Schnellzug steigen noch rund 30 Personen zu, dann kann die
„Stadt Konstanz“ ablegen. Da der Wenderadius in diesem, schon 1855 in seiner Struktur fertig gestellte Hafen nicht ausreicht, müssen die am
Damm abgehenden Dampfschiffe mit Hilfe einer sogenannten Sprengtrosse gewendet werden. Das am Pfahlbündel befestigte Sprengseil bleibt
während des ganzen Manövers mit dem Poller des achteren Galeriedecks verbunden. Die dadurch erzielte Hebelwirkung bringt das Schiff in die
gewünschte Position zum Auslaufen.
Begegnung mit der „Stadt Bregenz“
Friedrichshafen mit dem markanten Turm der St. Nikolauskirche und dem
königlichen Schloss bleibt immer weiter hinter dem breiten Schaufelstrom der „Stadt Konstanz“ zurück. Hinter dem flachen Ufer zwischen der
Rotach- und der Schussenmündung ragt der schlanke Kirchturm von Eriskirch heraus. Das im italienisch-maurischen Stil erbaute Schloss
Montfort rückt immer näher, als ein großer, festlich beflaggter Dampfer entgegenkommt. „Ein großes Schiff!“, staunt ein älterer Fahrgast mit
Spazierstock und Strohhut. Ein zufällig vorbeikommender Matrose gibt bereitwillig Auskunft. „Das ist der österreichische
Doppelsalondampfer „Stadt Bregenz“. Mit einem Fassungsvermögen von 1000 Personen größtes
Fahrgastschiff auf dem Bodensee!“ „Gibt es noch mehr solcher Schiffe?“, will der würdige Herr wissen. Der Matrose schüttelt verneinend den
Kopf. „Wegen der See- und Hafenverhältnisse konnte sich dieser Schiffstyp bei uns noch nicht durchsetzen!“ Der Fahrgast tippt an seinen Hut.
„Danke für aufschlussreiche Information!“ Die „Stadt Bregenz“ bietet auch den weniger an der Schifffahrt interessierten Fahrgästen an Bord
der „Stadt Konstanz“ einen imposanten Anblick. Die großen Decksalons mit den dreigeteilten Sprossenfenstern, der hohe Schornstein und die
beiden Großmasten zaubern einen Hauch von Ozean auf das „Schwäbische Meer“. Auch an Bord der „Stadt Bregenz“ scheint sich hoher Besuch
eingefunden zu haben. Im Drahtgespinst des vorderen Mastes weht neben der üblichen k.u.k. Handelsflagge der Stander eines Erzherzogs. Unter
den feingekleideten Herrschaften auf dem großen Dampfer sind auch die typischen Tschakos österreichischer Offiziere zu erkennen. Von der
Kommandobrücke entbietet der legendäre Kapitän Ivancich seinem badischen Kollegen einen zackigen Gruß, während eine Militärkapelle auf dem
Promenadendeck den Prinz-Eugen-Marsch intoniert.
Seeluft macht hungrig
Schon seit der Ausfahrt aus Friedrichshafen weht würziger Bratenduft aus der
Küche im Steuerbord-Radkasten. Am großen Herd mühen sich die Schiffsköchin, Frau Zinsmeister assistiert von ihrer Tochter Mechthild um das
leibliche Wohl des Reisepublikums. Im achtern gelegenen, festlich eingedeckten Speisesaal I. Platz haben sich schon einige Herrschaften zum
gutbürgerlichen Mittagsmahl niedergelassen. Soeben schiebt sich der Ober mit einer dampfenden Suppenterrine durch die Flügeltüren in den mir
reichlicher Jugendstil-Ornamentik verzierten Salon. Auf einem silbernen Tablett werden Bratenstücke, Kartoffel-Kroketten und frisches
Buttergemüse nachgereicht. Auch wir entschließen uns, zu einer bescheideneren Mahlzeit in der Kajüte II. Platz im Vorschiff niederzulassen.
Unsere Wahl fällt auf einen Schübling mit Kartoffelbrei und Gemüse zum Preise von 60 Pfennigen. Dazu gibt es frisches Fassbier aus der
Brauerei Graf in Staad.
Auf diese Weise gestärkt, lassen wir uns wieder unter dem Sonnensegel auf dem
Vorschiff nieder. Die Berge der Voralpen erheben sich nun schon eindrucksvoll hinter dem Schwemmland des Alpenrheins und der Bregenzer Ach.
Vom breitgelagerten Massiv der Scesaplana kündigt frischer Neuschnee den nahenden Herbst an.
Im malerischen Wasserburg mit dem markanten Zwiebelturm der Kirche St. Georg
steigen mehrere Wandergruppen zu. Schwere Bergrucksäcke und robustes Schuhwerk lassen auf eine ausgedehnte Bergtour im Bregenzer Wald
schließen. Als die „Stadt Konstanz“ in weitem Bogen die Inselstadt Lindau umrundet, läuten von den Türmen der Stifts- und der Stephanskirche
die Mittagsglocken. Von seinem Steinsockel mustert der bayerische Löwe stumm und grimmig den einlaufenden badischen Dampfer. Im Lindauer
Seehafen befindet sich die „Stadt Konstanz“ in einer illustren Gesellschaft. Am Landungsplatz vor dem alten Mangturm und an der Dammzunge
liegen bereits die württembergische „Königin Charlotte“ mit ihrem turmartigen
Heckpavillon, die bayerische „Prinz-Regent“ und den eleganten Clipperbug auf die Ausfahrt
gerichtet, der Schweizerdampfer „Helvetia“. Für die nach Österreich einreisenden Passagiere
findet in Lindau die bayerische Passkontrolle statt. Deshalb muss die „Stadt Konstanz“ nach dem Aussteigen in langsamer Rückwärtsfahrt nach
dem Ablegen der „Prinz-Regent“ an die Dammzunge verholen. Ein solches Manöver fordert von der Besatzung äußerste Konzentration und bereitet
vor allem bei Föhnstürmen Probleme, wo der starke Wind das Schiff erfassen und gegen die Dalben an der Hafenpromenade gedrückt werden kann.
Dieser Umstand war auch einer der Gründe, warum bei der Bodenseeschifffahrt bis auf wenige Ausnahmen die weniger windanfällige
Halbsalonbauweise beibehalten wurde. Doch an diesem Tag funktioniert dank der guten Zusammenarbeit zwischen Brücke und Maschine das Manöver
reibungslos und nach wenigen Minuten liegt die „Stadt Konstanz“ sicher an den Dalben. Mit dienstbeflissener Miene kommen zwei bayerische
Grenzbeamte an Bord. Nach einem kurzen Blick in unsere Ausweispapiere, tippt der uniformierte Grenzer an seine Mütze: „Schönen Aufenthalt in
Bregenz!“
Als letzte Zwischenstation wird die erst drei Jahre zuvor eröffnete Landestelle
Lochau mit dem opulenten Strandhotel angelaufen. Längst befinden wir uns schon im Bannkreis des Pfändermassivs, der unmittelbar hinter dem
Ufersaum aufragt. Zu seinen Füssen breitet sich ähnlich einem Amphitheater das 2000 Jahre alte, aus dem römischen Flottenstützpunkt
Brigantium hervorgegangene Bregenz. Bregenz und das Land Vorarlberg besitzt auch für die Bevölkerung der mächtigen Doppelmonarchie
Österreich-Ungarn den Symbolcharakter als Fenster nach Westeuropa.
Mächtig qualmend und mit überhöhtem Dampfdruck verlässt der
Schleppdampfer „Vorarlberg“, der noch bis 1910 den Namen „Bregenz“ trug mit zwei vollbeladenen
Trajektkähnen den Hafen in Richtung Romanshorn. In den geschlossenen Güterwagen werden vermutlich die begehrten Vorarlberger Textilien und
Holzmöbel aus dem Bregenzer Wald transportiert.
Seit einigen Jahren wird das Stadtbild mit dem wuchtigen Martinsturm ergänzt
durch den mächtigen Backsteinbau der Herz-Jesu-Kirche. Im Bregenzer Hafen treffen wir auf eine alte Bekannte. Vor uns liegt am Personenmolo
die Halbschwester „Stadt Meersburg“, die eine Stunde früher in Richtung Konstanz auslaufen wird. Am Reservemolo liegen kalt abgestellt die
seit einigen Jahren im Sommerbetrieb ziemlich beschäftigungslos gewordenen Schwesterschiffe
„Austria“ und „Habsburg“, die erst im schwächer frequentierten Winterhalbjahr wieder zum
Zuge kommen dürften.
Nach einem Besuch in der bekannten Weinstube Kinz, in der sich mehrmals im Jahr
auch König Wilhelm II. von Württemberg besonders wohlfühlt, entschließen wir uns zu einem Bummel durch die malerischen Gassen der Bregenzer
Altstadt und auf den Gebhardsberg. Dieser schroff abfallende Felsen ist die Geburtsstätte des heiligen Gebhard, dem späteren Bischof von
Konstanz. Hier stand einst die Festung Hohenbregenz, die während des 30-jährigen Krieges von den Schweden zerstört wurde.
In den späten Nachmittagsstunden umfängt uns
wieder die uns so vertraut gewordene Bordatmosphäre der biederen „Stadt Konstanz“. Es wird eine stimmungsvolle Abendfahrt mit einem
farbenprächtigen Sonnenuntergang über der weiten Wasserfläche des Obersees. Als der Dampfer mit langsamer Fahrt in Konstanz einläuft, hat
sich längst die Nach schützend über Stadt und Hafen gebreitet.
(Karl F. Fritz